Donnerstag, 20. September 2012

Robinson Grausam

Ich war doch schon ewig nicht mehr im Burgtheater, dachte ich mir. Dass das einen Grund hatte, hatte ich vergessen. Ich erinnerte mich zwar noch an einen bis zur Unkenntlichkeit entstellten Steppenwolf, aber die Erinnerung war über die Jahre verblasst und hatte bereits begonnen, sich aufzulösen. Sie war wie eine Tablette, die sich im Wasser in ihre Bestandteile zersetzte, und von der nach einer Weile nichts mehr übrig blieb, bis auf einen bitteren Geschmack, und die Hoffnung auf Linderung von Schmerzen.

Robinson Crusoe. Das klingt nach einem unterhaltsamen Abend, dachte ich mir. Ich verabsäumte es, mich über den Inhalt des Stücks zu informieren - ein schwerer Fehler, wie sich noch herausstellen sollte. Es begann mit dem Monolog eines Mannes, der sich weigerte, sich mit der Zugehörigkeit zum Mittelstand zufrieden zu geben. Dann kam die Seenot, die Robinson unerklärlicherweise zum Exhibitionisten machte. Weiter ging es mit nackt vollführten Leibesübungen quer durch das Burgtheater. Irgendwann, nach langer, langer Zeit, kam Freitag. Dann war da ein Kreuz, aber da hatte ich mich geistig bereits verabschiedet. Ein Blick auf die Uhr, alle fünf Minuten.

Endlich hatte die Qual ein Ende. Ich klatschte nicht, zum ersten Mal in meinem Leben. Was wurde aus dem guten alten Theater, mit Darstellern, Dramatik und Dialogen? Ich wünsche mir nichts mehr als so ein richtig klassisches, altmodisches Stück. Aber so etwas ist in Wien nicht leicht zu finden.

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